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Mittwoch, 10. Juni 2009

Thomas Brasch - Der Sänger Dylan in der Deutschlandhalle

Und der Sänger Dylan in der Deutschlandhalle
ausgepfiffen angeschrien mit Wasserbeuteln beworfen
von seinen Bewunderern, als er die Hymnen
ihrer Studentenzeit sang im Walzertakt und tanzen ließ
die schwarzen Puppen, sah staunend in die Gesichter
der Architekten mit Haarausfall und 5000 Mark im Monat,
die ihm jetzt zuschrien die Höhe der Gage und
sein ausbleibendes Engagement gegen das Elend der Welt. So sah
ich die brüllende Meute: Die Arme ausgestreckt im Dunkel neben
ihren dürren Studentinnen mit dem Elend aller Trödelmärkte
der Welt in den Augen, betrogen um ihren Krieg,
zurückgestoßen in den Zuschauerraum
der Halle, die den Namen ihres Landes trägt, endlich
verwandt ihren blökenden Vätern, aber anders als die
betrogen um den, den sie brauchen: den führenden Hammel.
Die Wetter schlagen um:
Sie werden kälter.
Wer vorgestern noch Aufstand rief,
ist heute zwei Tage älter.

Dienstag, 9. Juni 2009

Das Langweilige am Subversiven

Womit uns Hochschulprofessoren heute langweilen können: Kritik am Staat, am Kapitalismus, am Nationalsozialismus, am Totalitarismus, am Nationalismus, am Rassismus, am Kolonialismus, am Imperialismus, am Reduktionismus, am Fanatismus, am Klerikalismus etc. Das langweilt uns, wir kennen das alles schon, haben es tausendmal gehört und tausendmal ja und Amen dazu gesagt. Wir wollen was Neues hören! Wir wollen was Zeitgenössisches hören. Aber wenn wir uns da auf unsere alten, verstaubten Professoren verlassen, sind wir selber schuld, das ist klar.

Was mich nur aufregt ist, dass die das als extrem subversiv und neu verkaufen, was sie da verzapfen. Dabei hat die Weltanschauung, die sie en gros vertreten schon in den 80ern gekränkelt (ich weiß das, denn als das mit Tschernobyl passiert ist, war ich noch keine drei Jahre alt), und wenn da nicht die Grünen gekommen wären, wärs Anfang der 90er vorbei gewesen mit dem ganzen ideologischen Schnickschnack. Weltanschauung ausgedient, entlassen wegen Verstaubtheit und konsequenter Langeweile.

Mich wundert es irgendwie auch nicht, wenn sozialistische Parteien uninteressant für die Leute werden. Die ganze linke Geschichte hat den Schock der Wende nicht verkraftet, es fehlt die lebensweltliche Legitimation genauso wie ein frisches Gedankengerüst. Linker will heute keiner mehr sein. Dann lieber konservativ. Das Konservative erhebt keinen Anspruch auf Fortschrittlichkeit und Modernität, ist also irgendwie auch wieder zeitgemäß. Links ist schon lange nicht mehr progressiv; progressiver sind da schon die Rechten, die zwar ein maues Gedankengebäude haben, damit aber auch - bezeichnenderweise - auf der Höhe der Zeit sind.

Ja schade, irgendwie ist die Zeit der Tütenphilosophie vorbei. Es reicht nicht mehr, einen Marx am Nachttisch liegen zu haben. Bei denen, bei denen früher ein Foucault gelegen wäre, liegt heute höchstens noch ein Bourdieu. Damit lässt sich aber auch nur gezielter beobachten, beruhigter mit dem Kopf nicken und besser "das große Ganze" ("die 'moderne' Gesellschaft") im Blickfeld haben. Bourdieu steht vielleicht in einer marxistischen Tradition, aber Imperative sind bei ihm nicht zu finden. Das behaupte ich jetzt mal, ohne ein Wort von ihm gelesen zu haben (ja, ups, erwischt).

Und die Moral von der Geschicht?
Wir denken kaum, wir handeln nicht.

Montag, 8. Juni 2009

Schlafversuche

Woran es liegt, ist leider nicht zu sagen. Der Patient hat gestern nicht geschlafen. Er wälzte sich gegen halb ein Uhr das erste Mal im Bett umher. Etwa zehn MInuten später schien er den Kampf schon aufgegeben zu haben, jedenfalls schaltete der Patient um 00.42 wieder das Licht ein und widmete sich für die nächsten 32 Minuten der Lektüre von Dietrich Werners Erzählband "Bemühungen in der Luft und anderer Ungelegenheiten". Offenbar attestierte der Patient dem gewählten Werk besondere Relevanz für die eigene, momentane Situation, schien ihm die Schlaflosigkeit doch schon früh als tatsächliche Ungelgenheit dem verdienten Schlaf entgegenzustehen.
Um 01.05 wurde das Fenster geöffnet, der Patient verweilte während der Raumlüftung im Bett und schloss das Fenster wieder um 01.09. Doch auch im gut gelüfteten Raum schien dem Patienten kein Einschlafen möglich zu sein. Eine spontane Überprüfung seiner Werte offenbarte keine Auffälligkeiten: der Blutdruck etwas niedriger als normal, Ruhepuls von 62, lediglich die Gehirnaktivität verzeichnete ungewohnte Spitzen. Der Patient machte einen etwas aufgewühlten Eindruck, wagte aber um 01.17 den nächsten Versuch, Schlaf herbeizuführen. Doch auch die folgenden Minuten verbrachte der Patient mit Herumrollen im Bett, dem Zerwühlen der Bettwäsche. Die Unruhe steigerte sich, bis der Patient um 01.28 seinem Kopfkissen mehrere Schläge versetzte, ein lautes Knurren von sich gab und wieder das Licht anstellte. Jetzt hatten sich auch Pulsschlag und Blutdruck dramatisch erhöht.
Der Patient versuchte sich in der nächsten halben Stunde mit Surfen im Internet zu zerstreuen. Zu diesem Zwecke holte er sich den tragbaren Computer ins Bett. Bei wieder abgedunkeltem Raum brachte der Patient die Zeit bis 02.14 zu, legte den Computer wieder zurück und brachte sich selbst wieder in eine Position, die versprach, seinem Einschlafvorhaben zuträglich zu sein. Doch auch diesmal kein Erfolg.
Um 02.19 erhob sich der Patient abermals aus seinem Bett, besuchte das Klosett und fand seinen Weg in die Küche. Nun hatte er offenbar beschlossen, sich das Einschlafen mit der Zufuhr von Betäubungsmitteln leichter zu machen. Aus dem Kühlschrank holte er eine Flasche Bier und aus dem Kasten ein Glas. Damit kehrte er wieder in sein Zimmer zurück. Um sich während des Konsums die Zeit zu vertreiben, holte der Patient abermals den tragbaren Computer hervor und begann, Teile seiner Niederländisch-Hausübungen zu machen. Dies gab der Patient offiziell zu Protokoll, nachdem er vor Beginn des Einschlafversuchs angehalten wurde, besondere, ungewöhnliche geistige Aktivitäten oder Zerstreuungsmaßnahmen als solche zu deklarieren und seine Motivation dafür zu begründen. In diesem Falle gab der Patient an, dass er, wenn er schon nicht einschlafen könne, wenigstens die nächtliche Zeit für etwas nutzen wolle, das ihm sonst am Tag nur wenig Freude bereite.
So verbrachte der Patient die folgende Zeit mit Tippen, leisem vor sich hin murmeln, das nur von gelegentlichen tiefen Bierschlucken unterbrochen wurde. Um 03.08 erklärte der Patient der Versuchsleitung, dass er nun wichtige Teile seiner Hausaufgaben erledigt habe und diesbezügliche Aktivitäten nun einstelle. Auch das Bier hatte er mittlerweile leergetrunken. Der Patient wirkte in den folgenden Minuten etwas ratlos; es hatte den Anschein, als würde das Bier nicht die gewünschte Wirkung gehabt haben. Jedenfalls öffnete der Patient abermals das Fenster und lüftete den Raum für weitere 12 Minuten bis 03.20, währenddessen er offenbar dösend im Bett lag und sich nur wenig rührte. Es muss die Angst vor einer Verkühlung gewesen sein, die ihn aus dem Halbschlaf wieder zum Fenster trieb, um dieses zu schließen. Auch nach diesem Vorgang war an Schlaf noch nicht zu denken. Der Patient erging sich bis 03.34 in Grübeleien, worauf das konstante Tippsen seiner Fingerkuppen an die dem Bett benachbarte Wand schließen ließ.
Um 03.35 erhellte sich der Raum abermals und der Patient griff bestimmt und auch ein wenig verzweifelt zu Walter Kappachers Erzählband "Wer zuerst lacht". Die Lektüre in diesem Buch dauerte nur wenige Minuten und beschränkte sich, wie der Versuchsleitung nicht verborgen blieb, auf oberflächliches und vielleicht auch etwas gelangweiltes, jedenfalls aber ungeduldiges Durchblättern des Buches. So kam es dazu, dass der Patient um 03.41 den Kappacher-Erzählband gegen ein populärwissenschaftliches Werk über Evolutionspsychologie tauschte, worin er abermals nur lustlos blätterte. Die Lektüre schien dem Patienten nicht mehr die gewünschte Zerstreuung zu bieten. Vielleicht war aber auch die intellektuelle Anstrengung um diese Uhrzeit nicht mehr zu bewältigen. Nur so ist es zu erklären, dass der Patient um kurz vor vier Uhr früh das Medium wechselte und sich eine Folge der irischen Sitcom "Father Ted" ansah. Das Ansehen der Serie wurde vom Patienten mit gelegentlichem Grunzen, das zu früherer Stunde ein Lachen hätte sein können, begleitet. Der Patient schien sich zu diesem Zeitpunkt mit der Unmöglichkeit, in dieser Nacht noch zu ausreichendem Schlaf zu kommen, abgefunden zu haben. Das bestätigten auch seine um 04.32 kontrollierten Werte, die sich wieder im Normalbereich eingependelt hatten.
Auch, dass der Patient keinen weiteren ernsthaften Versuch mehr unternahm, einzuschlafen, legte eine solche Interpretation der Umstände nahe. Er verzichtete auf eine weitere Raumlüftung, kippte stattdessen nur das Fenster, um sich mit dem heller werdenden Himmel und dem ersten Vogelgezwitscher auf den beginnenden Tag einzustellen. Er schien, den Entschluss gefasst zu haben, aufstehen zu wollen, bemerkte aber wohl, dass es dafür noch zu früh war, denn er legte sich wieder in das zerwühlte Bett und sah sich bis 06.15 Uhr Satz Nummer 2 und 3 des Finales des Wimbledon Tennis Turniers 2008 an. Dabei erlebte er, wie Roger Federer den spannenden zweiten Satz unglücklich an Rafael Nadal abgab, den dritten aber dann im Tiebreak für sich entscheiden konnte, um dadurch dem Match wieder Dramatik und Spannung verlieh. Vielleicht war es die hypnotische Konstanz der Tennisballwechsel, vielleicht die Erschöpfung des Patienten, der nun schon ca. 19 Stunden von seinem Körper wachgehalten wurde, die ihn letztlich dazu veranlasste, um 06.22 den letzten und, wie festgestellt werden konnte, erfolgreichen Versuch zu unternehmen.
Der Patient schlief von 06.23 bis 11.08 Uhr, wonach er sich aus dem Bett zwang, um sich nicht am Abend mit ähnlichen Probleme konfrontiert zu sehen. Die Atmung war ruhig, der Puls niedrig, der Blutdruck normal. In dieser Nacht stand der satte Vollmond über der Stadt.

Sonntag, 7. Juni 2009

Charles Baudelaire - À une passante (Einer Dame)

Geheul der Straße dröhnte rings im Raum.
Hoch schlank tiefschwarz, in ungemeinem Leide
Schritt eine Frau vorbei, die Hand am Kleide
Hob majestätisch den gerafften Saum;

Gemessen und belebt, ihr Knie gegossen.
Und ich verfiel in Krampf und Siechtum an
Dies Aug' den fahlen Himmel vorm Orkan
Und habe Lust zum Tode dran genossen.

Ein Blitz, dann Nacht! Die Flüchtige, nicht leiht
Sie sich dem Werdenden an ihrem Schimmer.
Seh ich dich nur noch in der Ewigkeit?

Weit fort von hier! zu spät! vielleicht auch nimmer?
Verborgen dir mein Weg und mir wohin du mußt
O du die mir bestimmt, o du die es gewußt!

Studentische Anthropologie

L'homme machine – wenn La Mettrie irgendwo Recht hatte, dann vielleicht dahingehend, dass der Mensch - oder sein Gehirn - eine Input-Output-Maschine ist. Das zumindest wünscht sich ein Student, der verzweifelt so viel Input in der Erwartung aufnimmt, dass irgendwann wie von selbst ein Output erfolgen muss. Er verlässt sich auf den automatischen Teil in ihm, der ihm irgendwann befiehlt, Arbeit zu verrichten, die er vorher aus mangelndem Interesse sein hat lassen. Er liest sich Information an, die irgendwann verarbeitet und schreibenderweise wieder ausgeschieden werden muss. Eine Seminararbeit zu schreiben, ohne sich eingehend genug mit dem Thema beschäftigt zu haben, ist demnach mit einer WC-Sitzung zu vergleichen, der weder Nahrungsaufnahme noch der Drang zur Ausscheidung vorausgingen.

Dann aber kommen wieder Zweifel an der Gültigkeit einer solchen materialistischen Sichtweise und es drängt sich die Frage auf, ob man sich nicht doch einmal probeweise aufs Klo setzen sollte, nur um zu sehen, ob nicht doch was kommt...

Donnerstag, 4. Juni 2009

Johann will eine Hermeneutik des Seins machen

„Mir“, sagt Johann, „mir passiert das nicht mehr. Ich mach jetzt eine Hermeneutik des Seins, weil irgendwann reicht es auch mal mit dem ganzen Zweifeln und Herumdenken, da wird man ja wahnsinnig!“ „Du machst was?“, frage ich, nur um sicherzugehen, dass ich es recht verstanden habe. „Eine Hermeneutik des Seins mach ich jetzt.“, sagt er genauso bestimmt wie gerade eben. Mir fällt dazu nicht viel ein, also sage ich bloß: „Das gibt’s doch schon, Johann. Hermeneutik des Seins. Was willst du damit?“ „Was, das gibt’s schon? Wieso gibt’s das schon? Was meinst du, was ich damit will? Mir die Dinge erklären, damit endlich mal Ruhe ist in der Kiste.“, sagt er. Ich verstehe nicht, was er meint: „Wie, meinst du jetzt, eine Hermeneutik des Seins wäre die Lösung für alle Probleme? Oder meinst du, wenn du sowas machen würdest, wenn man da überhaupt davon sprechen kann, dass man sowas einfach mal macht, glaubst du, da würdest du dann weniger nachdenken, oder wie?“ Johann wird ungeduldig: „Probleme, Probleme, hör mir doch auf! Als ob es im Leben nichts Interessanteres als Probleme gäbe...“ - „Die Zeitschriften sind voll davon“, unterbreche ich ihn. „Jaja“, sagt er, „jaja, ich weiß schon. Aber Probleme haben, das ist was für Idioten, die nicht nachdenken können oder wollen. Die machen es sich leicht, indem sie es sich extra schwer machen mit Problemen, für die sie scheinbar keine Lösung finden.“ „Ja, gut“, sage ich, „aber was willst du jetzt mit einer Hermeneutik des Seins anfangen? Ich meine, abgesehen davon, dass es sowas schon gibt.“ „Jetzt hör aber mal gut zu!“, sagt Johann jetzt, der mir immer aufgeregter vorkommt, „Ich weiß ja nicht, woher du das hast mit der Hermeneutik des Seins, die es angeblich schon geben soll. Aber es ist ja nicht so, dass eine Hermeneutik des Seins sowas wäre wie ein Rad oder ein Schraubenschlüssel oder eine Dampfmaschine. Du kannst nicht sagen, ich könne keine Hermeneutik des Seins machen, nur weil es das schon gäbe. Die möcht ich erstmal sehen, diese Hermeneutik des Seins, und dann wird sich ja weisen, was die taugt.“ „Jaja“, ich versuche, ihn zu beschwichtigen, „Versteh mich nicht falsch, aber ich hab nun mal keine Ahnung, was du mit dem Ding anfangen willst. Und da ich zufällig weiß, dass es schon etwas gibt auf dieser Welt, das den Namen 'Hermeneutik des Seins' trägt, und du sowas machen willst, hab ich mir gedacht, ich setze dich mal vorsichtig davon in Kenntnis, nicht dass du dann enttäuscht bist, wenn dir wer anderer sagt, dass es das schon gibt.“ „Du hast ja keine Ahnung! Hör dir doch mal selber zu! Du nennst mein Vorhaben ein 'Ding', das allein ist ja schon ein Witz. Du kennst dich ja überhaupt nicht aus! Und geben, sagt er! Als ob es sowas 'geben' könnte, wie es ein Ding gibt.“ Ich unterbreche ihn: „Naja, du sagst ja auch dauernd, dass du sowas 'machen' würdest. Das ist doch genauso bescheuert, zu sagen, man mache eine Hermeneutik des Seins.“ „Siehst du! Und genau deswegen braucht man sowas. Dann müsste ich jetzt nicht mehr darüber nachdenken, ob das eine Berechtigung hat, wenn du 'Ding' dazu sagst, was ich angebe, 'machen' zu wollen. Ich will über solche Dinge nicht mehr nachdenken müssen. Da verzweifel ich doch dran. Deswegen muss jetzt so eine Hermeneutik des Seins her, und zwar pronto!“ Ich merke, dass ich schon ein wenig an den Händen schwitze und sage einfach nur: „Ja gut, dann mach mal.“ Johann sieht mich verständnislos an und sagt: „Ja wie, mach mal!? Glaubst du, ich mach dir da jetzt den Kasper?“ „Wieso? Du hast gesagt, du willst eine Hermeneutik des Seins machen. Meinen Segen hast du. Also mach!“ „Du bist ein richtiger Trottel, weißt du das? Ich will hier was Ernstes auf die Beine stellen und du machst dich lustig drüber. Oder bist du gar eifersüchtig, dass dir das nicht eingefallen ist?“ „Eifersüchtig? Hallo? Ich bin eifersüchtig auf deine Hermeneutik des Seins? Auf etwas, was es eh schon gibt, was du aber im Sinn hast, neu zu machen, obwohl es aussieht, als wüsstest du ohnehin nicht, was du willst und wovon du sprichst? Auf diese lächerliche Unternehmung, auf diese Schnapsidee, auf diese Ausgeburt intellektueller Diarrhoe soll ich eifersüchtig sein? Das ist ja absurd!“ „Siehst du?“, sagt Johann, „Das ist der Grund, warum ich mit solchen Dummköpfen wie dir nicht mehr reden will. Wenn ich erstmal meine Hermeneutik des Seins gemacht habe, dann hat es sich damit auch.“ Ich öffne die Türe, stehe auf der ersten Stufe der Treppe in den Hof, es ist ein schöner Septembernachmittag im August, wie ich die ein wenig zu kalt geratenen Augustnachmittage gerne zu nennen pflege. Ich drehe mich um, Johann steht hinter mir in der Tür und schaut grimmig. Ich lächle und sage: „Lieber Johann, ich wünsch dir natürlich alles Gute mit deiner Hermeneutik des Seins. Es tut mir leid, wenn ich den Eindruck gemacht habe, dein Vorhaben lächerlich zu finden. Ganz im Gegenteil, ich finde das toll, dass du sowas machst.“ „Danke“, sagt Johann und macht die Tür zu.

Donnerstag, 28. Mai 2009

Thomas M. resümiert

Meine Liebe ist ein altes, naturkundliches Museum, das spärlich besucht und enttäuscht verlassen wird. Selbst Biologen, Geologen oder Käfersammler wenden sich von den meisten Ausstellungsobjekten kopfschüttelnd ab und schlurfen seufzend durch die staubigen Gänge auf der Suche nach dem Ausgang.

Freitag, 22. Mai 2009

Ausbildung zum Insekt

Nach unruhigen Träumen stellt sich die Erkenntnis ein, dass die Kafka-Lektüre auf den Nachmittag zu verlegen ist und nicht mehr kurz vorm Einschlafen passieren sollte. Dabei war es gestern Hildesheimer, der mich irreführte und vermuten ließ, ich lese Kafka, wobei er doch ausdrücklich darauf hinwies, kein Kafka-Buch schreiben zu wollen. Scheint so zu sein, wie die Sache mit dem rosaroten Elefanten, an den man möglichst nicht denken sollte. Die spontane Anwesenheit des Abzuweisenden, eine eidetische Abstraktion des psychopathologischen Mummenschanz. Alles Quatsch.
Dabei erlebte ich im Schlaf eine „Ausbildung zum Insekt“. Durchaus ein Titel, der mich jetzt, nachdem ich diese Ausbildung durchlaufen habe, wiederum an Kafka oder Hildesheimer denken lässt und vielleicht auch ein wenig an die Versuche Martin Walsers, grotesk zu sein. Walser, von dem ich gestern eine Kurzgeschichte angefangen, aber nicht zu Ende gelesen habe. Auch mein Traum endete kurz vor seinem Höhepunkt, dem Verzehr einer übergroßen Spinne durch mich, der ich die Ausbildung zum Insekt bis zu diesem Punkt, zwar mit Ekel aber durchaus mit Bravour hinter mich gebracht hatte. Es musste sich bei mir um ein Fluginsekt gehandelt haben, das im Zuge seiner Ausbildung durch einen Tunnel, wie auf einem Flieband, gefahren wurde. Ich lag meist auf dem Rücken, oft auch auf dem Bauch, bekam eine Einführung in verschiedene andere Insektenarten, musste Würmer mit Skorpionstacheln vom Boden picken, an welchen ich teilweise vorbei-, teilweise durchgezogen wurde, stets darauf achtend, allen Kontakt mit ihnen zu meiden, was auf Kosten meiner Versuche ging, sie mit dem Stachel zu erwischen.
Dann stellte sich mir ein tatsächliches Skorpion entgegen und auch sonst wurden die Anwesenden Insekten exotischer. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass mir auch die Begegnung mit diversen Spinnentieren nicht erspart bleiben würde. Dass diese keine Insekten sind, störte den Regisseur meines Traumes wenig. So kam es, dass gegen Ende der Fahrt durch den Tunnel die Stimme, die mir während meiner Ausbildung wie als Lehrer die Namen und Funktionsweisen verschiedener Insekten erklärt hatte, ankündigte, ich befände mich am Ende meiner Ausbildung und sei bereit für die Abschlussprüfung. Diese bestünde im Verzehr einer großen Spinne, einer Spinne, gerade groß genug um mich satt zu machen und daher besonders für meine Insektenart geeignet. Am Ende des Tunnels fand ich viele Spinnen vor, die nicht den Eindruck erweckten, sich von mir bereitwillig aufessen lassen zu wollen und so kam mir bald der Gedanke, dass es sich hier um ein Missverständnis handeln müsse. Denn trotz meines, während meiner Ausbildung angesammelten, Wissens, durchfuhr mich die schreckliche Erkenntnis, dass nicht ich es war, dem es oblag, die Spinnen zu verspeisen, sondern dass es, ganz im Gegenteil, ja Aufgabe der Spinnen war, diverse Fluginsekten in ihren Fallen zu fangen und auszusaugen. Es musste sich also entweder um ein Missverständnis handeln, oder aber ich war einem üblen Scherz aufgesessen, der zum Ziel hatte, mich, nach einer vorgeblichen Ausbildung zum Insekt, am Ende doch nur einer hungrigen Spinnenmeute auszusetzen. Doch trotz meiner Angst, die ich am Ausgang des Tunnels verspürte, versuchte ich, mich pflichtgemäß auf eine der vielen Spinnen zu stürzen. Meine Flügel waren noch lahm und auch die Bewegung meiner übrigen Glieder machte mir noch die größten Probleme. Auch war es die Panik angesichts der Vielzahl an Spinnen, die mich veranlasste, mich blindlings auf die erste, mir näherkommende Spinne zu stürzen, noch bevor ich die Gelegenheit hatte, ihre Größe abzuschätzen und so, gemäß meiner Ausbildung, meine Beute nach den relevanten Krterien auszuwählen. Freilich erwischte ich mit der Spinne rechts neben dem Tunnelausgang ein zu großes Exemplar. Soweit ich mich erinnern kann, gab es allerdings auch keine Spinne, die angesichts meines geschwächten Zustandes als Beute angemessen schien. Alle waren sie zu groß, zu schnell, zu schwarz und haarig. So kam es also, dass sich die von mir ausgewählte Spinne auf mich stürzte, statt ich mich auf sie, was von der Stimme meines Instruktors mit einem höhnischen Lachen begleitet wurde. Zwar fühlte ich im Moment des Kontakts mit dem Feind eine ungeheure Kraft in mir wachsen, sodass ich kurz dachte, einen möglichen längeren Kampf doch für mich entscheiden zu können, doch war es ein scharfes „Nein!“, das mir das Traumbild zerfuhr und mich aus dem Schlaf riss. Eine bewusste Entscheidung gegen den Ekel, der mir so ein Kampf beschieden hätte, eine Rettung in letzter Sekunde vielleicht.
So endete meine Ausbildung zum Insekt ohne Diplom, ohne Abschlusszeugnis. Kein summa cum laude, kein Festmahl aus Blütenstaub, kein Dasein als fertig ausgebildetes Fluginsekt. Was blieb ist die Erkenntnis, dass ich weit davon entfernt bin, meine Spinnenphobie zu überwinden und dass, wie schon gesagt, die Kafkalektüre und überhaupt alle Lektüre, die irgendwas mit Kafka zu tun haben könnte (also auch Hildesheimer und Walser), auf den Nachmittag zu verlegen ist.

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