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Edition eines Fragments: An ein Du. Erinnerungen eines Freundes.

Dem dunklen, von Rauch durchdringten, ewigen Lokal stellte sich um etwa acht Uhr morgens ein frischer, vom Regen noch feuchter Sommermorgen entgegen. Regen – oder war es der Spritzwagen... nein – zu spät: Es war doch Regen, der die Rillen der Straßenbahngeleise füllte. Der saure Geruch des Stadtregens – es muss gar kein Großstadtregen sein – stieg dir in die Nase, du Elender. Was wusstest du schon davon, wie der Regen sich statistisch in der Stadt verteilte? Du hattest doch immer das Gefühl, dort, wo du bist, regnet es am meisten. Wichtigtuer. Von dem also wusstest du nichts. Eigentlich wusstest du überhaupt nichts. Wenn überhaupt, dann glaubtest du, von etwas zu wissen; wenn das aber der Fall war, dann sahst du nicht davon ab, mit flammenden Reden das Geglaubte zu verkünden, als ob es die Wahrheit wäre. Sonst warst du still, brachtest kaum dein Maul auf. Die anderen hielten das oft fälschlicherweise für Freundlichkeit oder – gediegener – Höflichkeit.
So also gingst du durch die Straßen, zu Boden blickend, wenn niemand in der Nähe, den Kopf aber stolz erhoben und ernst, hart und wichtigtuerisch in die Ferne blickend, sobald sich jemand näherte. Woher dieser scheinbare Hochmut? Hätte dich jemand angesprochen, du hättest schüchtern angefangen zu stottern, hättest kein Wort – und wenn, dann nur ein schlechtes – herausgebracht. Hochmut also. Und das, obwohl [du] in stilleren, etwas ernsteren, aber nicht weniger dummen und scheinbaren Reden die Demut dermaßen hoch hieltst und sie als die wichtigste – deine wichtigste – Tugend verkauftest. Glaubtest du dir das selbst? Oder war es ein Entwurf? Du alter Existentialist, aber mit z, weil du ja ein theoretischer warst, einer, der auch von Heideggers Existenzialien schwafelte, obwohl du doch recht wenig davon wusstest. Demut also? Existenzialist mit z also? Nicht der neuen Rechtschreibung wegen, deren Regelwerk du missachtetest, nicht weil so zu kompliziert für dich war oder du faul warst, nein: weil du klug genug warst, über den Regeln zu stehen und nur die anwandtest, die dir sinnvoll erschienen. Eklektiker, du. Aber wehe, wenn du irgendwo einen Rechtschreibfehler fandst: da spieltest du dich auf als besserwisserischer Verbesserer.
[...]
In deinen tiefsten Momenten, vor den Wundern der Dinge, vor dem Sein erzitternd, in tiefster Demut versunken, dem Wahren, dem Eigentlichen so nahe (vermeintlich), da verurteiltest du die anderen, die bloß lebten. Entweder das, oder du – gar nicht de- sondern ganz und gar hochmütig – bemitleidetest sie. Was waren sie doch arme, dumme, verachtenswerte Wesen. Nie konntest du dich entscheiden, ob du jetzt traurig sein solltest, mitleidend oder verurteilend, dich deiner Ansicht von oben erfreuend. Für dieses falsche Mitleid, für diesen Hochmut, war es dir nie zu spät. Das war deine Insel des Wahren, das Wahre, von dem du dachtest, dass du ihm am nächsten kommst. Vielleicht warst du ihm aber gerade deswegen am fernsten. Waren nicht jene, die sich uneigentlich dem Leben ergaben dem Eigentlichen viel näher als du? Vielleicht, aber ganz glauben kann ich dieser Version auch nicht. Du warst vielleicht nicht so 'wahrhaftig' wie du dachtest, aber wahrscheinlich wahrhaftiger als manch anderer. Aber so widersprüchlich, so zerrissen, eher hin- und hergerissen von der Realität. Du vertratst immer ein Konzept mit Bestimmtheit und Begeisterung, um es irgendwann im Sand verlaufen zu lassen, zu vergessen. Kein Wort darüber verloren, und doch vormals mit so vielen Worten großartig (größenwahnsinnig, hochmütig) vertreten. War das deine Demut vor dir selbst? Blödsinn. Faulheit, Inkonsequenz, Selbstbetrug, Schwäche? Vielleicht. Warst du je darüber enttäuscht? Selten, fast nie.
Was also war das, was du so dringend suchtest? Du suchtest nach Bedeutung, nach Wahrheit, ach, es war doch immer dasselbe ungreifbare, verwischte, mit Worten nur einzukreisende, aber nie zu erfassende Unbestimmte, gleichzeitig und deshalb Grund und Antrieb deiner Reden, deiner nie enden wollenden Reden, in die du dich selbst verstricktest, um nie wieder herauszukommen. Vielleicht war es das: dein eigenes Gedanken-Perpetuum-mobile, das sich selbst am Leben hielt, und DICH oder dein ICH nur dazu benutzte, um sich selbst immer wieder zu drehen und drehen und drehen, solange bis du wieder zusammenbrachst, nachgabst. Dein Gehirn trieb Spiel mit dir. Du armes Werkzeug deines Kopfes. Dachtest dich – entwarfst dich – als alles mögliche, im Grunde als ein Individualist, der sich entwerfen konnte wie er wollte, und in Wahrheit war dieses Gefühl, dieses Gewisse im Selbst bloß ein kleiner Dreh deines Gehirns, um dir Identität vorzugaukeln, damit du es am Leben hältst. Wie ist das jetzt? Was denkst du? Isst das nicht egal? Aber peinlich, die Wahrheit hinter den Dingen so lapidar gesagt zu bekommen. Hingerotzt. So rotzig ist die Wahrheit wie dein Gehirn, die rotzige Schädelmasse, die dich zum Narren hält, dich zum Sklaven macht. Das sind die besten Sklaven: die meinen, in Freiheit zu leben und nichts von Sklaverei wissen.

Doch was ist mit den Schwaflern? Jene, die nicht aufhören wollen zu reden. Und das, was sie erzählen, interessiert weder dich noch irgendjemand anderen, vielleicht auch gar nicht die Erzählenden selbst. Sie meinen, sie wären die interessantesten Menschen und die Welt drehte sich nur um sich [recte: sie].

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