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Die liebe Not

"Wissen ist, wissen wo's steht!", behauptet das Gör und dabei rinnt ihr die Gewissheit schon bei den Schuhen raus, so gewiss ist sie da. Auch ihre Freundin, die rauchend daneben steht, nickt eifrig, als ob es genau dieser Satz gewesen wäre, worauf sie den ganzen Tag schon gewartet hatte. Der Satz, der die Überflüssigkeit des Lernens unterschreibt, das Schummeln bei Prüfungen legitimieren soll, oder der einfach als freche Ausrede bei mündlichen Prüfungen dienen soll. Ironisch an der Sache ist nur, dass die beiden Damen offensichtlich gerade nicht wissen, wo SIE stehen: nämlich mir im Weg. Mir, der ich, gewissenhafter Diplomand eines fremden Instituts, gerade auf dem Weg in die oberen Stöcke der Amerikanistik bin und mich daher gezwungen sehe, mich rüde an den beiden fleißigen Raucherinnen vorbeizudrängen. So murmle ich ein möglichst genervt klingendes, überhaupt nicht freundlich und schon gar nicht höflich gemeintes "Tschuldigung" in das Genick der Herumstehenden, während ich meiner nur vermeintlichen Entschuldigung mit den Schultern auf das Unguteste Nachdruck verleihe. Da purzeln sie auch schon auseinander, ich habe sie nicht nur von ihren Standplätzen verdrängt, sondern offenbar auch aus ihren tiefen Gedanken gerissen und das vertragen sie gerade gar nicht. Gut, dass ihnen der eingesogene Rauch gerade das Sprechen verbietet, sonst hätten sie vermutlich so etwas gesagt wie: "Heeee!" oder, etwas weniger situationsspezifisch aber ebenso expressiv: "Aaaah!", oder, zwar ein wenig hysterisch aber nicht ganz unangemessen: "Huch!". Das blieb mir erspart und ich durfte die Treppe hinauf schlurfen.

Schlurfen ist ja, und das überlege ich mir, während ich darüber nachdenke, ob der Superlativ von ungut wirklich "am ungutesten" heißt, oder ob man da "am unbesten" sagen muss, und ob, in logischer Konsequenz, dann auch der Komparativ "unbesser" statt "unguter" heißen müsste, oder ob das Ganze sowieso nicht steigerbar, weil selbst schon ein Superlativ der obersten Sorte, ein Elativ oder sonst eine sonderbare grammtische Konstruktion ist, deren Geheimnis ich nicht zu entschlüsseln vermag. Schlurfen ist jedenfalls, so sagt man, die gewöhnlichste Fortbewegungsart des Studenten, denn nur beim Schlurfen kann er sich am studentischsten gebärden: da hängt der Kopf, da schlenkern die Arme, da kann er so tun, als laste das ganze Gewicht des Lebens oder des Geistes auf ihn. Doch eigentlich dient das Schlurfen nur dazu, die neu gekauften Schuhe, je nach Typ entweder Converse oder grünlederne Clarks, möglichst schnell alt aussehen zu lassen, was bedeutet kaputt zu machen, indem man sie über den Boden schleifen lässt, bei jedem Schritt, sodass es möglichst gut schlurft. Dass dieses öde und gänzlich dumme Herumschlurfen nichts mit den akrobatischen Tänzen der Schlurfs zu tun hat, versteht sich von selbst. Es ist vielmehr ein Versuch, den Geist von '68 wieder zu erwecken, als damals jeder irgendwie gammlig zu sein hatte, egal ob er aus reichem Hause stammte, oder ein ehrenwerter Tagedieb war. Ich bin froh, diese Zeit nicht erlebt haben zu müssen und beim Gehen meine Füße heben zu dürfen.

Ich bin auch froh, kein Chef sein zu müssen, der seinen frustrierten Mitarbeitern täglich dabei zusehen darf, wie sie mit leerem Kopf vor ihren Computern sitzen und sich gegenseitig Facebook-Nachrichten zukommen lassen, die aus wenig kreativen Varianten des Satzes "Ich bin heute so demotiviert und müde" bestehen, oder zum Inhalt haben, dass ihre momentante Beschäftigung (für die sie bezahlt werden) langweilig sei und sie lieber woanders wären, möglichst irgendwo, wo es viel Sonne und Essen gibt. Um diese Emotionen zu unterstreichen schicken sie sich gegenseitig Botschaften des Mitleids und der Solidarität und harren gemeinsam der letzten Stunde des Arbeitstages, um endlich in verhaltenen, aber doch erleichterten Jubel ausbrechen zu dürfen ("Juhuu! In einer Stunde ist Feierabend!"). Und der Feierabend wird bei dieser Art Menschen ganz wörtlich genommen, da feiern sie dann ganz wild und ausgelassen, erzählen sich gegenseitig vom Traumurlaub, dem Traumjob oder dem Traummann (alles geistige Entitäten, welche die Wirklichkeit wie der Teufel das Weihwasser fürchten und also nie, nie, nie wahr werden, aber gerade deshalb umso begehrlicher wirken) und sie lachen. Denn ihre Gesichter sind - wie von Zauberhand - plötzlich nicht mehr grau und langweilig, sondern jetzt öffnen sich ihre Münder, ihre Lachfalten werden tiefer und manchmal erblickt man eine Träne in ihren Augen, die Zeuge ihrer Fröhlichkeit sein will und die Alltagstristesse hinweggespült hat. Wenn ich dann ein Chef wäre, der abends an einem der Straßencafés vorbeikommt und zufällig seine Mitarbeiter dabei beobachtet, wie sie ihr "Leben genießen", wie sie es nennen, und der gleichzeitig daran denkt, wie leer, dumpf und freudlos ihre Gesichter noch vor ein paar Stunden im Büro waren, dann müsste ich mich doch zwischen Grant und Depression entscheiden, müsste mich fragen, wie es sein kann, dass ein so unmotivierter Jammerhaufen auf einmal produktiv wird, wenn es darum geht, das Leben zu genießen, Alkohol zu trinken, zu fressen und sich gegenseitig uninteressante Geschichten oder esoterische Weisheiten zu erzählen. Wie es sein kann, dass diese Bürozombies auf einmal, erblüht durch ein Wonnebad im herrlichen Zeitgeist-Chic, zu aktiven und passionierten Menschen werden. Und gleichzeitig müsste ich mich fragen, ob es nicht doch traurig sei, dass sie den größeren Teil ihres Tages in jener selbst geschaffenen Tristesse zubringen, die sie ihre Arbeit nennen, an der sie irgendwann zu Grunde zu gehen gedenken.

Da denke ich wieder an die zwei schlauen Studentinnen, die der Meinung sind, dass Wissen hieße, zu wissen wo etwas stehe. Das ist ebenso dumm wie pragmatisch, binsenweise wie zielorientiert. Auch diese beiden werden irgendwann einmal vielleicht in einem dieser Büros sitzen und sich auf den Feierabend freuen.
Vielmehr heißt doch wissen, zu wissen wo MAN stehe: eben am besten nicht im Weg herum. Gut ist auch, zu wissen, wo man so ungefähr im Leben steht, ob es da noch Perspektiven und Freuden gibt, von denen man noch nichts ahnt. Ebenso gut ist, zu wissen, ob man vor dem richtigen Haus oder an der richtigen Haltstelle steht. Das ist auch ganz pragmatisch, da muss man gar nicht Lebensmetaphern bemühen und immer das sogenannte Große Ganze im Auge haben. Wenn man nämlich statt des "man" das "etwas" sucht, dann is man meistens ganz falsch. Gnothi seauton, wie der alte Grieche sagt, um zum Schluss noch was ganz Gescheites liegen zu lassen.

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