Weekly Top Artists: Gheorghiu's Last.fm Weekly Artists Chart

Weekly Top Tracks: Gheorghiu's Last.fm Weekly Tracks Chart

Menü

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Interview über die Heimat

Platzhirsch: "Herr Seitlinger, sind Sie stolz auf Ihre Heimat?"
Seitlinger: Nun, wissen Sie, diese Frage ist ja überaus modern. Meistens wird sie dahingehend beantwortet, dass der Befragte in einem Kauderwelsch zu erklären versucht, dass er "natürlich Heimatgefühle" habe, man es aber damit nicht zu übertreiben braucht, und dass die Heimatliebe dort anfängt, wo sie in Ignoranz gegen das Andere und Fremde ausschlägt. Diese Litanei will ich Ihnen gerne ersparen und sage daher: nein, ich bin nicht stolz darauf.

Platzhirsch: "Ihr letztes Buch sorgte für einen Skandal. Unter anderem wurden Sie als 'Nestbeschmutzer' beschimpft. Stört Sie so etwas?"
Seitlinger: Na hören Sie mal, natürlich ärgert einen das. Zu sagen, das stört mich überhaupt nicht, ist erst recht ignorant, und Leute, die auf Beschimpfungen mit einem verbalen Achselzucken reagieren, machen das ja nur deswegen, um die Beschimpfer erst recht wütend zu machen. Das kann nicht mein Anliegen sein. Den sogenannten Skandal verfolge ich ja mit genausoviel Sorge wie Genugtuung.

Platzhirsch: "Könnten Sie das genauer erklären?"
Seitlinger: Das habe ich mir jetzt gedacht, dass Sie das genauer wissen möchten. Sehen Sie, es ist ja so: Nicht die Kritik an der Heimat ist es, welche die Leute stört. Es ist das Öffentliche. Die öffentliche Kritik stört die Menschen, das wollen sie nicht. Glauben Sie mir, ich liebe meine Heimat, zweifellos. Aber diese Liebe zu ihr hat sich erst während jener Zeit entwickelt, da ich von zu Hause fort war. Freilich wird der Blick geschärft, wenn man dann wieder heim kommt und es fallen einem Sachen auf, die man vorher gar nicht bemerkt hat, jetzt aber grauenvoll findet. Und wieder andere Dinge, die vorher schon grauenvoll waren, sind es jetzt noch mehr oder nicht mehr. Trotzdem stellt sich die ehrliche Liebe zur Heimat nur durch den Abstand zu ihr ein, durch das Andere, das Draußen und das Ferne, wie immer man es nennen will. Ich nenne das einen gesunden Blick auf die Heimat entwickeln. Das habe ich gelernt.

Platzhirsch: "Durch Ihren Aufenthalt im Ausland stieg also die Liebe zur Heimat, gleichzeitig aber auch die Ablehnung?"
Seitlinger: Nicht die Ablehnung, nur der kritische Blick hat sich gefestigt. Heimat ist ja nicht nur schlecht. Aber auch nicht nur gut. Das wäre ja beides nicht nur armselig, sondern auch recht langweilig.

Platzhirsch: "Wie meinen Sie das mit der Öffentlichkeit nun?"
Seitlinger: Ja, genau, die Öffentlichkeit. Also es ist doch so, dass selbst die heimatverliebtesten Leute auf der Welt oft dabei erwischt werden, wie sie implizit auf die Heimat schimpfen, wenn sie sich über die anderen Leute in ihrem Dorf oder in ihrer Stadt aufregen und meinen, das wäre wieder einmal typisch, etc. Auch das ist eine Form der Kritik und sie ist berechtigt. Aber sie ist unreflektiert, denn sobald jemand öffentlich sagt "Die Leute in X sind so und so", dann wird er Nestbeschmutzer genannt, wenn er selbst aus dem Dorf X kommt. In dieser Situation fühlen sich die Leute ja nur ertappt und es ist ihnen unangenehm, öffentlich mit Ihrer Hybris konfrontiert zu werden.

Platzhirsch: "Wie gehen Sie mit den Anfeindungen um?"
Seitlinger: Zuerst einmal gar nicht. Bzw. ja, ich umgehe sie. Sehen Sie, ich weiß ja, wie Kritik manchen Menschen sehr weh tun kann. Man sieht das ja oft, wenn etwas, das einem Menschen lieb ist, kritisiert wird und dann der Mensch verletzt ist, obwohl die Kritik vielleicht richtig war. Es geht da um die emotionale Bindung an rationale Konzepte.

Platzhirsch: "Bitte etwas einfacher!"
Seitlinger: Äh, ja. Also zum Beispiel, wenn einem Bauern sein Traktor so gefällt, er ihm ans Herz gewachsen ist, und es kommt ein anderer Bauer daher, der ihm dann erklärt, dass sein Traktor nicht nur alt sondern auch uneffektiv und böse für die Umwelt etc. ist. Da ist der Bauer dann beleidigt, weil jemand seinen Traktor kritisiert, obwohl der andere möglicherweise Recht hat.

Platzhirsch: "Und wie geht das jetzt mit der Heimat zusammen?"
Seitlinger: Bei der Heimat ist es etwas komplizierter. Da muss man einerseits vorsichtig sein, weil die Leute da empfindlich reagieren, andererseits muss man am aller deutlichsten sein, gerade wenn es um den Heimatbegriff geht. Da werden viele Menschen schnell verletzt sein, empört und gekränkt. Man muss aber über die Heimat schon einen offenen Diskurs pflegen, man darf das ganze nicht so ernst sehen. Wie beim Brauchtum: das soll man ja auch genießen, das darf nie zu einem dogmatischen Zwang werden, sonst bedrückt es nur und engt ein.

Platzhirsch: "Herr Seitlinger, versuchen Sie doch bitte, auf den Punkt zu kommen!"
Seitlinger: Das Verhältnis der Menschen zur Heimat ist zu emotional. Das funktioniert in einer modernen Welt nicht mehr. Für Jugendliche ist es normal, Freunde in aller Herren Länder zu haben, Fan einer englischen Fußball- oder einer amerikanischen Eishockeymannschaft zu sein. Das war früher undenkbar, weil informationstechnisch schwierig bis unmöglich. Heimat, das ist heutzutage nicht mehr nur das Dorf, die Region oder das Bundesland. Eine Heimat-Identität generiert sich nicht mehr nur über das engste und weitere soziale Umfeld, sondern mehr noch über die Medien. Das wissen Sie als Regionalmagazin doch am besten (lacht).

Platzhirsch: "Wieso lachen sie?"
Seitlinger: Ich habe gerade an einen Witz denken müssen, Entschuldigung.

Platzhirsch: "Fühlen Sie sich als Österreicher?"
Seitlinger: Aber ja. Ich bin Österreicher und fühle mich auch so. Aber deswegen muss ich ja nicht aufhören, das jederzeit hinterfragen zu können. Ich muss mich fragen können, was mich zum Österreicher macht, oder was ganz unösterreichisch an mir ist. Vielleicht habe ich ja viel Italienisches oder Russisches im Gemüt und weiß noch gar nichts davon. Das ist doch spannend, so etwas herauszufinden.

Platzhirsch: "Was halten Sie von der FPÖ?"
Seitlinger: Ich bitte Sie, diese Frage ist ja jetzt wirklich redundant.

Platzhirsch: "Reduwas?"
Seitlinger: Redundant. Egal... Die FPÖ erfreut sich ja gerade jener Menschen, die ein unhinterfragtes Heimatgefühl haben und dieses zelebrieren wollen. Natürlich gilt das nicht für alle FPÖ-Wähler, aber doch für einen anständigen (sic!) Teil. Da wird jedenfalls ein Heimatbegriff gepflegt, der in seiner Ganzheit mit totalitärem Traditionalismus verwechselt wird, der einen Exklusivitätsanspruch erhebt. Dass so etwas rückwärtsgewandt ist, erkennt man glaub ich auch, ohne dass man auf nazistische Tendenzen mancher Mitglieder aufmerksam machen muss.

Platzhirsch: "Herr Seitlinger, jetzt werden sie aber schon ein bisserl kompliziert. Mögen Sie Katzen?"
Seitlinger: Ja, wieso?

Platzhirsch: "Sehen Sie, sogar diese Frage können sie nicht unhinterfragt beantworten. Letzte Frage: Sind Sie glücklich?"
Seitlinger: Absolut.

Trackback URL:
https://rahmengedanken.twoday.net/stories/5833836/modTrackback

Aktuelle Beiträge

Neuer Blog
Ich bin umgezogen und entstelle das Internet nun unter...
Hrabanus - 28. Apr, 13:50
Landmarken - das Altenmarkter...
Wenn man bei Altenmarkt im Pongau vorbeifährt, dann...
Hrabanus - 26. Apr, 19:08
Zeitdiagnose eines gescheiterten...
Ein Jurymitglied mit Neinmüdigkeit setzt seine Gebeine...
Hrabanus - 7. Mär, 13:25
Im mittleren Alter, da...
Im mittleren Alter, da soll man nicht schreiben sondern...
ledsgo - 4. Mär, 13:08
Zwei Gedichte für einen...
für A.C.K. de viro Der gute Mann wird mit zunehmendem...
Hrabanus - 28. Feb, 10:27

Status

Online seit 7001 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 28. Apr, 13:50

Credits