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Mittwoch, 18. Februar 2009

Thomas Bernhard zu Besuch in Zell am See. Erster Teil: Aburteilung

Wer in dem Berggraben groß geworden ist, dem ist das Bedrückende, das immer auf einem Lastende, das einen immer Bedrohende der Natur, wie auch das Stumpfsinnige, das einen immer Untergrabende, der Neid und das Niederträchtige der Menschen, die in dem Berggraben wohnen, zu eigen geworden. Der Berggraben ist im Winter oft so verschneit, dass man weder ein noch aus kommt; zu Fuß nicht, und mit dem Auto schon gar nicht. Und das obwohl der Berggraben seit über sechzig Jahren dafür sorgt, dass neben den Stumpfsinnigen auch die sogenannten Weltgeister die Bergstadt besuchen, die, am Fuße des Berggrabens gelegen, zwischen Berg und See eingezwängt, ganz eigentlich auf einem Schwemmkegel entstanden, auf einem Schwemmkegel gewachsen, die, eigentlich vom Berg heruntergewaschen, sich am Fuße des Bergs und vom See auf der anderen Seite bedrängt, abgelagert hat.
Die sogenannten Weltgeister sind aber nichts anderes als ebenso niederträchtige und stumpfsinnige Menschen aus allen Winkeln der Welt, gerade unbescheiden genug, um auf Winterurlaub zu fahren, aber zu kleingeistig um eine Destination, ein sogenanntes Reiseziel zu wählen, das einem solchen Urlaub gerecht würde. Und die Menschen, die zwischen Berg und See, also im Berggraben und auf dem Schwemmkegel und am Hang links und rechts, sonnseitig und schattseitig wie man sagt, des Grabens leben, und die, die sich in der sogenannten Peripherie rund um den See und zwischen den Tälern in den eigentlichen Senkungen und Versenkungen angesiedelt haben, und die dort leben, ein sogenanntes Älplerleben führen, sind in Wahrheit eingesperrt zwischen den Bergen, aber auch eingesperrt in ihren Ansichten und ihren Vorstellungen und Wünschen und in den sogenannten Perspektiven, die einem das Leben biete, wie sie sagen.
In der Hochsaison sind drei mal so viele Leute da wie sonst. Die Lebensfeindlichkeit, die von den Hängen in das sogenannte Tal, den eigentlichen Berggraben und auf den Schwemmkegel hinunterlacht, wird dann verdeckt von einer scheinbaren Weltoffenheit und einer falschen Freundlichkeit, die in der Nachsaison gänzlich verschwindet und wieder der Verlogenheit und Falschheit der Einwohner weicht, die dann wieder ganz unter sich sind, ohne die sogenannten Touristen. Der Tourismus ist ganz eigentlich eine Funktion einer Gesellschaft, die verschleiert was die Bewohner des Grabens und des Kegels und der Peripherie versuchen zu verdrängen und zu verscharren, seit Jahrzehnten. Die Vergangenheit als Bauernvolk, die sie nie zugeben, die sie aufgegeben und verdrängt haben, dringt immer in der Nachsaison an die Oberfläche. Jene, die vorher einen Hof hatten, haben jetzt eine sogenannte Wirtschaft, die sie bewirtschaften, verwirtschaften und in Grund und Boden wirtschaften, in jenen Grund und Boden nämlich, den ihnen ihre Vorfahren aufbereitet und vorbereitet haben. Die Stallfliegen auf dem Butterbrot des Urgroßvaters oder des Großvaters sind jetzt die Wanzen unter den Fremdenbetten, unter den Betten, in die sich die Fremden legen sollen, die der sogenannte Fremdenverkehr in das Tal, in den eigentlichen Graben und auf den Schwemmkegel und an die Hänge spülen soll. Und eigentlich spült es im Berggraben schon seit Jahrzehnten nur mehr. Der Bach, der den Graben ausgespült hat, der letztlich auch den Schwemmkegel aufgeschwemmt hat, der den See nährt, wie man sagt, ist auch dafür verantwortlich, dass jetzt die Touristen angespült werden sollen. Doch eigentlich hat der Bach immer schon den Menschen, den Grabenbewohnern das Hirn aus dem Kopf gespült, und zu Recht ist es der vom Berg kommende Bach, der ihnen jeden Sommer Sorgen macht, weil wenn der Bach komme, wie es heißt, dann sei alles zu spät.
Mit dem ausgespülten Tal, dem angespülten Schwemmkegel und dem vollgespülten See, und den herangespülten Touristen hat der Bach auch die Niederträchtigkeit und die ganze Niederheit in die Menschen hineingespült. Und wenn die Menschen das nicht mehr aushalten, vor allem die jungen Menschen, die im angespülten Wohlstand aufgewachsen sind, in die der Wohlstand hineingespült wurde, und die mit dem Grund und Boden der Großväter nichts mehr am Hut haben, dann müssen sie sich aufhängen, damit sie mit den Füßen nicht mehr am Boden stehen, nicht mehr in der Schuld ihrer Großväter stehen, nicht mehr im Dreck ihrer Väter, die den Hof verwirtschaftet haben, und alles aus dem Grund und Boden herausgewirtschaftet und in die Niederträchtigkeit hineingewirtschaftet haben, bis der Boden satt war und überdüngt und unfruchtbar. Dann hängen die Jungen zwischen Dachbalken und Boden und die Väter raufen die Haare und die Mütter weinen um die Jugend und fragen was ihnen gefehlt hat, denn es habe ihnen ja an nichts gefehlt, sie haben ja alles gehabt und davon profitiert, was der Tourismus an Geld hereingespült hat. Aber die Jugend ist von ihrem Wohlstand als Folge des das Tal ausspülenden Bachs fortgespült und überspült worden, bis sie nicht mehr herausgekommen sind aus ihrem Wohlstand. Und dann wollen sie nicht mehr auf dem unfruchtbaren Boden der Großväter stehen und wollen aus dem erstickenden Wohlstand der Väter heraus, und heraus aus dem Tal zwischen den Bergen und dem See, aber nicht in den See hinein, weil sie ja schon der Bach umspült, und der führt das gleiche Wasser das auch der See hält. Also werfen sie sich vor den Zug, fallen auf die Eisenbahngleise hinauf, oder fallen vom Hocker in den Strick hinein und hängen dann über dem Boden.
Man sagt oft, die Leute in den Bergen seien einfach. Aber in Wahrheit sind die Leute in den Bergen nur eingesperrt und kommen nicht heraus aus der Einfachheit, in die jeder hineingeboren wird. Sie sind einfach weil sie so geblieben sind, nicht weil sie von Haus aus dazu bestimmt sind. Von Haus aus würden sie aus der Einfachheit heraus wollen, aber in den Bergen wird der Wunsch herauszuwollen unterdrückt. Wenn dann in die Berge was hineinkommt, anstatt etwas heraus, dann passiert das, was in der Grabenbergstadt passiert ist. Da ist der Tourismus gekommen, wie man sagt, denn den hat man ja nicht gemacht, der Tourismus kommt wie eine Naturgewalt. Wie der Bach vom Berg kommt, so kommt der Tourismus in das Tal, da kann man nichts machen. Wenn aber auf die einfachen Menschen in den Bergen von außen etwas hereinkommt, und sich die Menschen nicht darauf einstellen können, dann führt das naturgemäß zur Katastrophe.

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