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Dienstag, 2. März 2010

Der Lodenbeidl

Am Stadtplatz herrscht Unruhe. Etwa 20 holländische Jugendliche, wie man diese Brut an unreifen, sich selbst in die Stumpfheit saufenden jungen Menschen nennt, brüllen herum. Einige sitzen auf den Stufen des ehemaligen Amtsgebäudes, andere stehen vor den Auslagen des Souvenirgeschäfts, tappen die Scheibe an und schreien, was für eine Scheiße da verkauft werde. Natürlich haben sie ganz Recht, aber erstens sind die Sachen, die ein Souvenirgeschäft so verkauft es gar nicht wert, sie einem ästhetischen oder qualitativen oder sonst irgendeinem Urteil auszusetzen, und zweitens sind ja auch viele dieser Dinge ganz absichtlich so gemacht, dass man sie "Scheiß" nennen kann. Gemacht für genau solche Menschen, die diesen Scheiß dann auch kaufen, nicht weil er ihnen gefällt, sondern weil sie ihn irgendwie witzig finden. Oder sie kaufen ihn, weil sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, so einfach ist das. Auch diese jungen Holländer werden vermutlich am nächsten Tag, ausgenüchtert, am Nachmittag durch die Stadt schlurfen und in solchen Geschäften solchen "Scheiß" kaufen. Angebot und Nachfrage: frage lieber nicht!

Vor dem Zigarettenautomat ist es meistens ruhig, denn seit man nur noch mit einer Bankomatkarte Zigaretten kaufen kann, ist das den Touristen zu kompliziert geworden. Abgesehen davon sind viele Touristen gar keine Raucher mehr und die, die noch welche sind, zünden sich in den Lokalen immer ganz scheu die Zigaretten an, etwa so, wie ein Griechenlandreisender zum ersten Mal einen Teller auf den Boden wirft, weil man sich in einem Bereich befindet, wo das Verbotene auf einmal geboten oder, wenn es schon nicht erwartet, so doch geduldet wird. Die Pinzgauer rauchen noch fleißig - ich glaube, das kann man ganz allgemein sagen. Österreichische Jugendliche rauchen sowieso viel, und dass gerade bei uns die besseren und weniger rauchenden Jugendlichen wären, das hält man einfach mal so für unwahrscheinlich.
Dass diese Zigaretten auch immer nach Orten benannt sein müssen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt, denke ich mir, als ich eine Schachtel Parisienne wähle, für die man, lässt man sie in Paris am Tisch offen liegen, neugierig angeschaut wird. Memphis-Zigaretten in Memphis zu rauchen wäre auch sowas. Nur, dass man sich mit Memphis prinzipiell schämt, egal wo man ist. Memphis hat etwas Prolliges und das goldene Papier innen erinnert an 70er-Jahre, Schnauzbart, Goldring und sehr behaarte Unterarme. Will man nicht rauchen. Kratzt auch im Hals, aber erst am nächsten Tag.

Im Lokal ist dann eher wenig los, man hört nur vor der Türe in den Gassen die Holländer schreien. Es kommt der "echte Pinzgauer" herein - so nennt er sich selbst. Ich nenne ihn den Lodenbeidl und weiß nicht warum. Er ist gern "trachtig" gekleidet, wie er sagt, aber das eigentlich nur zu besonderen Anlässen wie dem Mittwochsfest, dem Seefest oder irgendeinem anderen Fest, dessen genauer Anlass eigentlich eh jedem wurscht ist. Der Lodenbeidl redet immer vom Pinzgau und wie es ist, ein "echter Pinzgauer" zu sein. Etwas anderes redet er nie. Er sieht auch aus wie ein Pinzgauer, auch wenn er nicht trachtig gekleidet ist, das muss man ihm lassen. Er hat eine Pinzgauer Physiognomie, aber das sagt man ihm besser nicht. Erstens müsste man es anders formulieren, sonst fühlte er sich angegriffen und zweitens weiß man nicht, ob ihm das Recht ist, denn so naiv zu sein und zu glauben, einem "echten Pinzgauer" wäre es quasi eine Ehre, sagte man ihm, er habe eine Pinzgauer Physiognomie, soweit will man dann doch nicht gehen - weil es riskant ist.

Ich sage es ihm trotzdem. Und zwar genau nachdem er mir mitteilt, dass er ein echter Pinzgauer sei. "I bin da Peda und i bin a richtiger Pinzgaua", sagt er. Er legt eine leichte Betonung auf das Wort "richtiger" und sieht mich dabei mit etwas zusammengekniffenen Augen an. Ich fühle mich sofort als unechter Pinzgauer und sage "Mhm... Schaust owa a so aus!". Jetzt kneift er die Augen noch mehr zusammen und stößt ein scharfes "Wieso?" aus. "Naja, du schaust aus, als wärst du ein erdiger Typ.", sage ich. Das war nicht schwer. Der Lodenbeidl grinst zuerst, lacht dann kurz auf und sagt "Jojo... mei. A echter Pingzauer hoit!". Ich will nicht mehr mit ihm reden, doch da sagt der Lodenbeidl schon "Woher bist oft du?!". Da ist er, der alles entscheidende, der entsetzliche Satz. Hätte Goethe im Pinzgau gelebt, dann hätte Faust eine ganz andere Gretchenfrage gestellt bekommen.
Das „Gespräch“ ist jetzt in einer kritischen Phase, denn einerseits fühle ich mich, als hätte ich einen Trumpf im Ärmel, doch andererseits weiß man nie, welchen Effekt die Antwort haben wird. Deswegen entscheide ich mich dafür, während ich "Schmitten" sage, das Kinn anzuheben und den Kopf noch etwas bedeutungsschwer nachschaukeln zu lassen. Das macht die Pause zwischen meiner Antwort und der Reaktion des Lodenbeidls lange. Gerade, als ich einen Schluck von meinem Bier nehmen will, wie zur Bestätigung des gerade Gesagten, sagt der Lodenbeidl, der mich die ganze Zeit fixiert hat, auf einmal: "Geh!?... Aha...", und dann trinkt auch er von seinem Bier. Geschafft. Schmitten kennt er, aber nicht zu genau als dass er fragen könnte, wie ich heiße und so weiter. "Wüde Hundt, die Schmittinga." setzt er nach. Ich sage nur "Jaja, haha!" und für den Lachnachsatz schäme ich mich gleich.

Irgendwas passt ihm nicht, dem Lodenbeidl, das merke ich ganz genau. Ich sehe wahrscheinlich nicht aus wie ein Pinzgauer. Mein im Gespräch mit ihm absichtlich verstärkter Dialekt scheint zwar seine Wirkung nicht ganz verfehlt zu haben, aber anscheinend passt der auch nicht so ganz zu mir, deswegen sagt der Lodenbeidl "Ausschaun tuast owa du wiara Stodinga!". Jetzt nicht nervös werden! Leider neige ich in solchen Situationen zur Spitzfindigkeit und sage: "Najo, Zell is ja auch eine Stadt...", diesmal traue ich mich gar nicht zu lachen und das ist auch gut so, denn jetzt scheint der Lodenbeidl böse zu werden. Er schüttelt heftig den Kopf und sagt "Jo, na geh..." und es klingt irgendwie wütend und beleidigt und man weiß nicht, ob er einem wie ein Kind vorkommt oder wie ein böser, betrunkener Mann oder beides. "Wiara Soizbuaga schaust du ma her!" ... Jetzt hat er mich. Jetzt hat er mich doppelt, nein dreifach.
Ich könnte mich jetzt im Stillen über die Formulierung "jemand schaut jemandem wie etwas her" aufregen, die ich immer schon mehr dumm als charmant fand. Das ist aber jetzt unmöglich, da ich ja selber die ganze Zeit versuche, dem Pinzgauer Dialekt möglichst treu zu bleiben. Die zweite Möglichkeit wäre die, zu behaupten, man wäre ja eh ein Salzburger, um nach einigem Hin und Her dann dem Lodenbeidl zu erklären, dass man das Bundesland gemeint hat und nicht die Stadt. Das ist aber eine selbst dem Lodenbeidl gegenüber recht freche und eigentlich hundsgemeine Geschichte, die nur Zwietracht sät. Ich entscheide mich für Möglichkeit Nummer drei, die ohnehin einen empfindlichen Nerv trifft, denn ich mag die Stadt Salzburg schon nicht und für einen Salzburger gehalten zu werden, empfinde ich als schwere Beleidigung. Jetzt aber Vorsicht, nicht zu emotional werden, sonst ergibt sich zum Schluss noch eine schön ausgebettete, mit vielen Beleidigungen gegen die Stadt Salzburg geschmückte und wohlig gemachte Gesprächsbasis. Das Böse kommt auf leisen Sohlen, erst recht wenn es um Salzburg geht!
Ich also - leicht entrüstet, aber nicht zu entrüstet, mit einer ordentlichen Prise Verwunderung, die, bevor ihre Wirkung verfliegt, sich in einer beleidigten Miene zu setzen sucht: "Wos!? Naaa!" Es braucht nicht vieler Worte, um in dieser Gegend Kommunikation zu führen, aber man benötigt schon ein Geschick in Sachen Intonation, Wortwahl und vor allem mimischer Gesprächsführung. Ein Zucken im Mundwinkel, während man ein freundlich-beleidigtes Gesicht zu machen versucht, und das Ganze gleitet entweder in etwas Feindseliges oder etwas Harmloses ab. Beides kann ungute Folgen haben. Mir gelingt mein Wos?-Na!-Gesicht ganz gut und der Lodenbeidl lacht zufrieden - offenbar gefällt ihm meine leichte Entrüstung. Seine Skepsis aber weicht nicht, ich bin ihm immer noch nicht urig genug. Sein Gesicht verlangt nach Erklärung und ich muss jetzt ganz schnell von mir ablenken, hin zu den fürchterlichen Salzburgern und ihm irgendwie zu Verstehen geben, dass ich mit denen überhaupt nichts am Hut habe und das auch gar nicht haben will.

Der Lodenbeidl hält ja viel auf Äußerlichkeiten. Deswegen hat er eine bäuerliche Frisur, einen missglückten Ziegenbartversuch im Gesicht, eine recht geschundene Haut und seine Kleidung ist von proletarischer Eleganz. Viel Pinzgauerisches hat er heute nicht an, seine Bodenständigkeit signalisiert er durch ein Holzhackerhemd, das er unter einem hellbraunen Pullover trägt, dazu Jeans und Schuhe, die ich noch nie zuvor gesehen habe - nicht, weil sie besonders extravagant wären, sondern eher ob ihrer Unscheinbarkeit. Ich hingegen habe eine "gemachte Frisur", wie man sagt, hab ein einfärbiges Hemd und graue Jeans an, sehe also "sauber" aus und darüber hinaus habe ich lange, dünne Finger - auf die hat der Lodenbeidl schon missmutig geschielt. Alles in allem bin ich also eine optische Provokation für ihn und genau da muss ich ihn packen, das ist das, was ihm auffällt, ihn stört, ihn misstrauisch macht. "Die Salzburger schaun ja ganz anders aus.", sage ich. Jetzt habe ich ungefähr drei Sekunden Zeit zu überlegen, was ich darauf folgen lasse. Der Lodenbeidl schaut verwundert, ich merke, dass er sich irgendwie zu freuen scheint, dass ich auf seinen Zug aufgesprungen bin, aber natürlich erwartet er jetzt eine Argumentation, dass es ihm die seltsamen Schuhe auszieht - da dürfen jetzt keine Fragen offen bleiben. "Wia leicht?", fragt der Lodenbeidl und verschränkt die Arme vor der Brust. Er hat sich jetzt im Gespräch eingehakt, da gibt es kein Aufs-Klo-Gehen, kein Am-Bier-Nippen oder Zigarretten-Anzünden, das mich aus dieser Zwickmühle herausbringt. Mir raucht der Kopf, ich sage mir selber, dass ich nie wieder auf solche Gespräche einsteige und wie das überhaupt passiert ist, wie schnell das gegangen ist, das wundert mich, keine 4 Sätze gewechselt und schon ist man in so einer Situation, wo ein Pinzgauer mit verschränkten Armen vor einem steht und auf eine Erklärung wartet, die man vorgegeben hat zu haben, die man sich aber jetzt doch aus den Studentenfingern saugen muss. Ich schaue kurz auf meine Hände, ja nicht einmal Risse haben die von der Kälte, oft sind sie im Winter wenigstens ein bisschen trocken und schauen nicht gar so gepflegt aus. Ich verschränke auch schnell die Arme, um die Finger nicht mehr sehen zu müssen und hol mir das Bild eines Salzburgers vor das innere Auge, von einem richtig unangenehmen Salzburger, den letzten, der mich richtig unangenehm aufgefallen ist... Ja, da ist er schon.

"Naja, die ziehen sich ja meistens so an, als wären sie recht kernig", sage ich, während ich daran denke, wie der letzte unsympathische Salzburger, den ich getroffen habe und bei dem ich mir gedacht habe "Wah, ein richtiger Salzburger ist das", wie der mich also gefragt hat, woher ich komm und ich habe gesagt "Aus Zell am See" und dann hat er so komisch geschaut. Der hatte ein rot-weiß-kariertes Hemd an. So eines, das sich einer zum Fasching anzieht, wenn er einen Bauern darstellen will oder einen Tiroler Schilehrer im Sommer und so weiter. Man ist ja selber nie vor Vorurteilen sicher, denke ich mir, während der Lodenbeidl nachdenkt, was ich mit meinem Satz gemeint habe. Aber gut, in dieser Situation helfen mir die Vorurteile, die der Salzburger gehabt hat, als er sich das Hemd gekauft hat, weil er dachte "Damit sehe ich kernig aus". Er war aber überhaupt nicht kernig, sondern eher glitschig oder pampig. Oben eher glitschig und dann so ab der Nase oder ab dem Mund pampig. Das denk ich mir, während mich der Lodenbeidl immer noch anschaut - er denkt gerade nach. Und was hatte der Salzburger für eine Hose an? War das nicht so eine Pseudo-Lederhose? So eine, die aussieht, als wäre sie eine echte Lederne, die aber einen höheren Tragekomfort hat, weils doch kein echtes Leder ist, aber sicher fast genausoviel kostet, weil der das in einem Laden in der Getreidegasse oder was weiß ich wo gekauft hat. So Läden, wo Country-Style-Sachen verkauft werden. Wo reiche Stadtmenschen so tun können, als würden sie in Wahrheit am Land wohnen, ein bissl urig, aber schon modern. Wo man einfach besser aussieht, wenn man im Land Rover drinsitzt.

"Mhm.", sagt der Lodenbeidl. "Jojo, do host scho recht", setzt er nach. Und ich bin erleichtert und auch etwas verwundert. Hat er jetzt wirklich verstanden, was ich meine? Er mustert mich und als wäre es Gedankenübertragung, scheint er mich mit meinem inneren Bild des Salzburgers verglichen zu haben - und der Vergleich ist gut ausgegangen für mich. "Wiara Hotelier schaust du aus", sagt er drauf und spricht „Hotlier“ so aus, dass es sich auf „Fakir“ reimen würde. Damit kann ich leben, denn damit ist jetzt auch bewiesen, dass ich wie ein Zeller aussehe, denn Hoteliers gibt es hier genug. Ich frage mich noch, ob ich mit ihm darüber diskutieren soll, ob man "Hotlier" oder "Hoteljee" sagen soll oder darf, aber dann fürchte ich mich davor, eventuell noch die Frage präsentiert zu bekommen, die ich ohnehin als nächste erwartet hätte: "Wos tuast oft du?"
Doch da bis zur nächsten Frage im Pinzgau in etwa die Zeit eines halben kleinen Bieres zu vergehen hat - außer es ist großes Misstrauen im Spiel, und dieses habe ich ja jetzt auf ein für den Lodenbeidl erträgliches Maß reduziert - entkomme ich diesem Fallstrick, denn gerade geht die Tür auf und herein kommt Uwe, der ganz und gar unpinzgauerische Koch eines relativ ungustiösen Lokals in Zell am See. Uwe, ein Deutscher, riecht immer sehr nach Fett und nicht nur deswegen unterhalten sich die Leute nur ungern mit ihm. Der Lodenbeidl aber, der unterhält sich liebend gern mit dem Uwe, weil dem kann er erzählen, was richtig Pinzgauerisch ist und was nicht.
Ich denke mir gerade, ob es das Wort "faschistofetischistisch" geben sollte, wer daran Gefallen fände und wie es aussehe, wenn es stenographiert würde, da höre ich den Lodenbeidl schon zu Uwe sagen "I bin a richtiga Pinzgaua!" und Uwe sagt "Ach ne?", bestellt ein Bier und ich proste ihm zu, denn dem Uwe möchte ich nicht die Hand geben. Das hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun, denn wenn einer so unhöflich ist und sich nach einem langen Tag in der Küche nicht wäscht und stinkend in ein Lokal geht, dann bin ich auch so unhöflich und gebe ihm nicht die Hand. Nur wegen seiner Faulheit will ich keinen Fettgestank an den Fingern haben. Und da sehe ich, wie der Lodenbeidl dem Uwe die Hand gibt und sie vor lauter Rausch gar nicht mehr auslässt. Die klobigen Hände vom Lodenbeidl saugen sich richtig an mit dem Fett an den Händen vom Uwe, so kommt es mir vor und ich frage mich, ob das gut für den Feuchtigkeitshaushalt der Haut ist, wenn die Hände in Fett getränkt werden, kann mir aber irgendwie nicht vorstellen, dass etwas intuitiv Grauenhaftes irgendwie gut sein soll. Uwe packt seine Zigarretten aus, er raucht York, und ich frage mich, ob die Leute wissen, dass selbst die Marlboro-Zigarretten nach einer Londoner Straße benannt sind und was Reisen mit Rauchen zu tun haben könnte. "Morgen gehe ich Schifahren", denke ich, trinke aus, zahle und geh.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Die Sachen (Günter Eich gewidmet)

Das ist mein Zeug,
meine Fluoridzahnpaste,
mein iPod,
mein USB-Stick,
meine Kundenkarte.

Hier liegt das Handy,
es läutet nur nachts
und schickt geheime Verse aus.

Das ist mein Style,
mein Mojo,
mein Game.

Und überall,
wo ich behause:
Bücher, Platten und alles
was sonst noch ich ist.
Kultur, wie man sagt,
die Persönlichkeit
eines Facebook-Accounts.

Dienstag, 1. Dezember 2009

Edition eines Fragments: An ein Du. Erinnerungen eines Freundes.

Dem dunklen, von Rauch durchdringten, ewigen Lokal stellte sich um etwa acht Uhr morgens ein frischer, vom Regen noch feuchter Sommermorgen entgegen. Regen – oder war es der Spritzwagen... nein – zu spät: Es war doch Regen, der die Rillen der Straßenbahngeleise füllte. Der saure Geruch des Stadtregens – es muss gar kein Großstadtregen sein – stieg dir in die Nase, du Elender. Was wusstest du schon davon, wie der Regen sich statistisch in der Stadt verteilte? Du hattest doch immer das Gefühl, dort, wo du bist, regnet es am meisten. Wichtigtuer. Von dem also wusstest du nichts. Eigentlich wusstest du überhaupt nichts. Wenn überhaupt, dann glaubtest du, von etwas zu wissen; wenn das aber der Fall war, dann sahst du nicht davon ab, mit flammenden Reden das Geglaubte zu verkünden, als ob es die Wahrheit wäre. Sonst warst du still, brachtest kaum dein Maul auf. Die anderen hielten das oft fälschlicherweise für Freundlichkeit oder – gediegener – Höflichkeit.
So also gingst du durch die Straßen, zu Boden blickend, wenn niemand in der Nähe, den Kopf aber stolz erhoben und ernst, hart und wichtigtuerisch in die Ferne blickend, sobald sich jemand näherte. Woher dieser scheinbare Hochmut? Hätte dich jemand angesprochen, du hättest schüchtern angefangen zu stottern, hättest kein Wort – und wenn, dann nur ein schlechtes – herausgebracht. Hochmut also. Und das, obwohl [du] in stilleren, etwas ernsteren, aber nicht weniger dummen und scheinbaren Reden die Demut dermaßen hoch hieltst und sie als die wichtigste – deine wichtigste – Tugend verkauftest. Glaubtest du dir das selbst? Oder war es ein Entwurf? Du alter Existentialist, aber mit z, weil du ja ein theoretischer warst, einer, der auch von Heideggers Existenzialien schwafelte, obwohl du doch recht wenig davon wusstest. Demut also? Existenzialist mit z also? Nicht der neuen Rechtschreibung wegen, deren Regelwerk du missachtetest, nicht weil so zu kompliziert für dich war oder du faul warst, nein: weil du klug genug warst, über den Regeln zu stehen und nur die anwandtest, die dir sinnvoll erschienen. Eklektiker, du. Aber wehe, wenn du irgendwo einen Rechtschreibfehler fandst: da spieltest du dich auf als besserwisserischer Verbesserer.
[...]
In deinen tiefsten Momenten, vor den Wundern der Dinge, vor dem Sein erzitternd, in tiefster Demut versunken, dem Wahren, dem Eigentlichen so nahe (vermeintlich), da verurteiltest du die anderen, die bloß lebten. Entweder das, oder du – gar nicht de- sondern ganz und gar hochmütig – bemitleidetest sie. Was waren sie doch arme, dumme, verachtenswerte Wesen. Nie konntest du dich entscheiden, ob du jetzt traurig sein solltest, mitleidend oder verurteilend, dich deiner Ansicht von oben erfreuend. Für dieses falsche Mitleid, für diesen Hochmut, war es dir nie zu spät. Das war deine Insel des Wahren, das Wahre, von dem du dachtest, dass du ihm am nächsten kommst. Vielleicht warst du ihm aber gerade deswegen am fernsten. Waren nicht jene, die sich uneigentlich dem Leben ergaben dem Eigentlichen viel näher als du? Vielleicht, aber ganz glauben kann ich dieser Version auch nicht. Du warst vielleicht nicht so 'wahrhaftig' wie du dachtest, aber wahrscheinlich wahrhaftiger als manch anderer. Aber so widersprüchlich, so zerrissen, eher hin- und hergerissen von der Realität. Du vertratst immer ein Konzept mit Bestimmtheit und Begeisterung, um es irgendwann im Sand verlaufen zu lassen, zu vergessen. Kein Wort darüber verloren, und doch vormals mit so vielen Worten großartig (größenwahnsinnig, hochmütig) vertreten. War das deine Demut vor dir selbst? Blödsinn. Faulheit, Inkonsequenz, Selbstbetrug, Schwäche? Vielleicht. Warst du je darüber enttäuscht? Selten, fast nie.
Was also war das, was du so dringend suchtest? Du suchtest nach Bedeutung, nach Wahrheit, ach, es war doch immer dasselbe ungreifbare, verwischte, mit Worten nur einzukreisende, aber nie zu erfassende Unbestimmte, gleichzeitig und deshalb Grund und Antrieb deiner Reden, deiner nie enden wollenden Reden, in die du dich selbst verstricktest, um nie wieder herauszukommen. Vielleicht war es das: dein eigenes Gedanken-Perpetuum-mobile, das sich selbst am Leben hielt, und DICH oder dein ICH nur dazu benutzte, um sich selbst immer wieder zu drehen und drehen und drehen, solange bis du wieder zusammenbrachst, nachgabst. Dein Gehirn trieb Spiel mit dir. Du armes Werkzeug deines Kopfes. Dachtest dich – entwarfst dich – als alles mögliche, im Grunde als ein Individualist, der sich entwerfen konnte wie er wollte, und in Wahrheit war dieses Gefühl, dieses Gewisse im Selbst bloß ein kleiner Dreh deines Gehirns, um dir Identität vorzugaukeln, damit du es am Leben hältst. Wie ist das jetzt? Was denkst du? Isst das nicht egal? Aber peinlich, die Wahrheit hinter den Dingen so lapidar gesagt zu bekommen. Hingerotzt. So rotzig ist die Wahrheit wie dein Gehirn, die rotzige Schädelmasse, die dich zum Narren hält, dich zum Sklaven macht. Das sind die besten Sklaven: die meinen, in Freiheit zu leben und nichts von Sklaverei wissen.

Doch was ist mit den Schwaflern? Jene, die nicht aufhören wollen zu reden. Und das, was sie erzählen, interessiert weder dich noch irgendjemand anderen, vielleicht auch gar nicht die Erzählenden selbst. Sie meinen, sie wären die interessantesten Menschen und die Welt drehte sich nur um sich [recte: sie].

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Die liebe Not

"Wissen ist, wissen wo's steht!", behauptet das Gör und dabei rinnt ihr die Gewissheit schon bei den Schuhen raus, so gewiss ist sie da. Auch ihre Freundin, die rauchend daneben steht, nickt eifrig, als ob es genau dieser Satz gewesen wäre, worauf sie den ganzen Tag schon gewartet hatte. Der Satz, der die Überflüssigkeit des Lernens unterschreibt, das Schummeln bei Prüfungen legitimieren soll, oder der einfach als freche Ausrede bei mündlichen Prüfungen dienen soll. Ironisch an der Sache ist nur, dass die beiden Damen offensichtlich gerade nicht wissen, wo SIE stehen: nämlich mir im Weg. Mir, der ich, gewissenhafter Diplomand eines fremden Instituts, gerade auf dem Weg in die oberen Stöcke der Amerikanistik bin und mich daher gezwungen sehe, mich rüde an den beiden fleißigen Raucherinnen vorbeizudrängen. So murmle ich ein möglichst genervt klingendes, überhaupt nicht freundlich und schon gar nicht höflich gemeintes "Tschuldigung" in das Genick der Herumstehenden, während ich meiner nur vermeintlichen Entschuldigung mit den Schultern auf das Unguteste Nachdruck verleihe. Da purzeln sie auch schon auseinander, ich habe sie nicht nur von ihren Standplätzen verdrängt, sondern offenbar auch aus ihren tiefen Gedanken gerissen und das vertragen sie gerade gar nicht. Gut, dass ihnen der eingesogene Rauch gerade das Sprechen verbietet, sonst hätten sie vermutlich so etwas gesagt wie: "Heeee!" oder, etwas weniger situationsspezifisch aber ebenso expressiv: "Aaaah!", oder, zwar ein wenig hysterisch aber nicht ganz unangemessen: "Huch!". Das blieb mir erspart und ich durfte die Treppe hinauf schlurfen.

Schlurfen ist ja, und das überlege ich mir, während ich darüber nachdenke, ob der Superlativ von ungut wirklich "am ungutesten" heißt, oder ob man da "am unbesten" sagen muss, und ob, in logischer Konsequenz, dann auch der Komparativ "unbesser" statt "unguter" heißen müsste, oder ob das Ganze sowieso nicht steigerbar, weil selbst schon ein Superlativ der obersten Sorte, ein Elativ oder sonst eine sonderbare grammtische Konstruktion ist, deren Geheimnis ich nicht zu entschlüsseln vermag. Schlurfen ist jedenfalls, so sagt man, die gewöhnlichste Fortbewegungsart des Studenten, denn nur beim Schlurfen kann er sich am studentischsten gebärden: da hängt der Kopf, da schlenkern die Arme, da kann er so tun, als laste das ganze Gewicht des Lebens oder des Geistes auf ihn. Doch eigentlich dient das Schlurfen nur dazu, die neu gekauften Schuhe, je nach Typ entweder Converse oder grünlederne Clarks, möglichst schnell alt aussehen zu lassen, was bedeutet kaputt zu machen, indem man sie über den Boden schleifen lässt, bei jedem Schritt, sodass es möglichst gut schlurft. Dass dieses öde und gänzlich dumme Herumschlurfen nichts mit den akrobatischen Tänzen der Schlurfs zu tun hat, versteht sich von selbst. Es ist vielmehr ein Versuch, den Geist von '68 wieder zu erwecken, als damals jeder irgendwie gammlig zu sein hatte, egal ob er aus reichem Hause stammte, oder ein ehrenwerter Tagedieb war. Ich bin froh, diese Zeit nicht erlebt haben zu müssen und beim Gehen meine Füße heben zu dürfen.

Ich bin auch froh, kein Chef sein zu müssen, der seinen frustrierten Mitarbeitern täglich dabei zusehen darf, wie sie mit leerem Kopf vor ihren Computern sitzen und sich gegenseitig Facebook-Nachrichten zukommen lassen, die aus wenig kreativen Varianten des Satzes "Ich bin heute so demotiviert und müde" bestehen, oder zum Inhalt haben, dass ihre momentante Beschäftigung (für die sie bezahlt werden) langweilig sei und sie lieber woanders wären, möglichst irgendwo, wo es viel Sonne und Essen gibt. Um diese Emotionen zu unterstreichen schicken sie sich gegenseitig Botschaften des Mitleids und der Solidarität und harren gemeinsam der letzten Stunde des Arbeitstages, um endlich in verhaltenen, aber doch erleichterten Jubel ausbrechen zu dürfen ("Juhuu! In einer Stunde ist Feierabend!"). Und der Feierabend wird bei dieser Art Menschen ganz wörtlich genommen, da feiern sie dann ganz wild und ausgelassen, erzählen sich gegenseitig vom Traumurlaub, dem Traumjob oder dem Traummann (alles geistige Entitäten, welche die Wirklichkeit wie der Teufel das Weihwasser fürchten und also nie, nie, nie wahr werden, aber gerade deshalb umso begehrlicher wirken) und sie lachen. Denn ihre Gesichter sind - wie von Zauberhand - plötzlich nicht mehr grau und langweilig, sondern jetzt öffnen sich ihre Münder, ihre Lachfalten werden tiefer und manchmal erblickt man eine Träne in ihren Augen, die Zeuge ihrer Fröhlichkeit sein will und die Alltagstristesse hinweggespült hat. Wenn ich dann ein Chef wäre, der abends an einem der Straßencafés vorbeikommt und zufällig seine Mitarbeiter dabei beobachtet, wie sie ihr "Leben genießen", wie sie es nennen, und der gleichzeitig daran denkt, wie leer, dumpf und freudlos ihre Gesichter noch vor ein paar Stunden im Büro waren, dann müsste ich mich doch zwischen Grant und Depression entscheiden, müsste mich fragen, wie es sein kann, dass ein so unmotivierter Jammerhaufen auf einmal produktiv wird, wenn es darum geht, das Leben zu genießen, Alkohol zu trinken, zu fressen und sich gegenseitig uninteressante Geschichten oder esoterische Weisheiten zu erzählen. Wie es sein kann, dass diese Bürozombies auf einmal, erblüht durch ein Wonnebad im herrlichen Zeitgeist-Chic, zu aktiven und passionierten Menschen werden. Und gleichzeitig müsste ich mich fragen, ob es nicht doch traurig sei, dass sie den größeren Teil ihres Tages in jener selbst geschaffenen Tristesse zubringen, die sie ihre Arbeit nennen, an der sie irgendwann zu Grunde zu gehen gedenken.

Da denke ich wieder an die zwei schlauen Studentinnen, die der Meinung sind, dass Wissen hieße, zu wissen wo etwas stehe. Das ist ebenso dumm wie pragmatisch, binsenweise wie zielorientiert. Auch diese beiden werden irgendwann einmal vielleicht in einem dieser Büros sitzen und sich auf den Feierabend freuen.
Vielmehr heißt doch wissen, zu wissen wo MAN stehe: eben am besten nicht im Weg herum. Gut ist auch, zu wissen, wo man so ungefähr im Leben steht, ob es da noch Perspektiven und Freuden gibt, von denen man noch nichts ahnt. Ebenso gut ist, zu wissen, ob man vor dem richtigen Haus oder an der richtigen Haltstelle steht. Das ist auch ganz pragmatisch, da muss man gar nicht Lebensmetaphern bemühen und immer das sogenannte Große Ganze im Auge haben. Wenn man nämlich statt des "man" das "etwas" sucht, dann is man meistens ganz falsch. Gnothi seauton, wie der alte Grieche sagt, um zum Schluss noch was ganz Gescheites liegen zu lassen.

Freitag, 4. September 2009

Wider die Glühbirnennostalgie

Eduard Griebenbeil ärgert sich darüber, dass die EU die "gute alte Glühbirne" verboten hat. Das hat er mir letztens geschrieben. In einem zwei Seiten langen E-Mail (wie man bei E-Mails jetzt genau die Seitenanzahl misst, soll hier nicht von Belang sein) schildert er seine krankhafte Ehrfurcht vor der "guten alten Glühbirne", wie er immer wieder schreibt. Dass sich die Adjektive "gut" und "alt" in den Fragen der Technik grundsätzlich ausschließen - zumindest fiele mir im Moment kein Beispiel ein, in welchem sie es nicht täten - wird immer dann ignoriert, wenn sich der Mensch mit Veränderungen seiner konkreten Lebenswelt konfrontiert sieht. Dann kommt nämlich die Nostalgie ins Spiel. Eine Nostalgie, die besonders in Bezug auf die Technik oft sonderbare Züge anzunehmen beliebt.

Da ist oft die Rede von der "guten alten Videokassette", der "guten alten Langspielplatte" (richtige Nostalgiker würden niemals "LP" sagen, denn bei ehrlich gemeinter Wertschätzung des Mediums muss auch so viel Zeit sein, das schöne Wort "Langspielplatte" aussprechen zu dürfen) oder vom "guten alten Opel Kadett". Zugegebenermaßen ist die Nostalgie im Falle der Langspielplatte noch berechtigter als bei der VHS-Kasette (denn es kann nur die gemeint sein) oder dem stinkenden alten Auto. Doch wie wird hier argumentiert? "Der Sound ist so speziell", sagt man da, weil es vor und zwischen den einzelnen Titel kratzt und hie und da auch mal dazwischen. Auch bei der LP wirkt - ähnlich wie bei Büchern - zudem die olfaktorische Komponente: "Die riechen so gut". Man bemerkt schon die Tendenz: Qualitäten, die bei neueren Produkten als verachtenswert empfunden würden, wie etwa ein modriger Geruch oder eine gewisse Unreinheit des Klangs, tragen bei nostalgischer Betrachtung alten Krempels zu einer fiktiven Wertsteigerung bei.

Nun aber im Fall der Glühlampe? Riecht die auch so gut, die gute alte Glühlampe? Oder ist es das warme Licht, welches so viel "angenehmer" war, als das der neuen Energiesparlampen? Oder das Gefühl, die Hände um eine im Erkalten begriffene Lampe zu legen und die mystische Wärme der vormals durchgeflossenen Elektrizität zu spüren, was ja eine energetisch interessante Erfahrung sein kann? Oder ist es das hochfrequente Quietschen, das beim Eindrehen einer neuen Birne in die Fassung entsteht, kurz bevor die Lampe zum ersten Mal leuchtet? Nein, die Glühlampe hat nichts Vermissenswertes an sich, gut und alt ist sie nur, weil die meisten Leute, so auch Herr Griebenbeil, nix anderes kennen.

So vermischt sich hier vermeintliche Nostalgie, welche über das Begriffspaar "gut" und "alt" suggeriert werden möchte, mit tatsächlicher politischer Ignoranz, dem Ohnmächtigkeitsgefühl des kleinen Mannes, dem die böse, böse EU "von oben" alles vorschreibt und der befürchtet, demnächst könne sie ihm auch noch "das Scheißen vorschreiben". Ja, die Glühbirne ist alt, aber sie ist im modernen Sinn nicht gut, sondern eigentlich ziemlich schlecht, weil uneffiktiv und höchst unzeitgemäß. Und nein, sie ist überhaupt nicht dafür geeignet, ein Nostalgieobjekt abzugeben, denn dazu ist sie viel zu selbstverständlich in den Alltag eingebunden. Glühbirnen widmet man ja keine Zeit und oft nur wenig Interesse. Selten traf sich jemand mit Freunden und berichtete begeistert von der neuen 60 Watt Osram E10, die er sich gerade erst vor zwei Tagen gekauft hat, und die jetzt seine Nachttischlampe zum Leuchten bringt. Wir täten also besser daran, uns von der Glühbirne nüchterner zu verabschieden und sie nicht "gute alte" zu taufen, um sie damit in den unbarmherzigen Schlund unnötiger und die Seele belastender Nostalgie zu ziehen.

Mittwoch, 2. September 2009

Seitlinger vergiftet

Nachdem der Schriftsteller Josef Seitlinger in einer österreichischen Tageszeitung als Reaktion auf die brutalen Übergriffe zweier Jugendlicher auf einem Pinzgauer Fest vor einigen Wochen eine Satire auf das Landleben überhaupt und den Salzburger Pinzgau im Besonderen veröffentlicht hat, wurde er am letzten Wochenende Opfer eines "hundsgemeinen Giftanschlags", wie er selbst sagt.
Seitlinger hielt sich, trotz besseren Wissens, wieder einmal in einem Lokal in der Innenstadt von Zell am See auf und übte sich im Diskurs mit einigen einheimischen Jugendlichen. Diese, ihm zwar nicht wohlgesonnenen, aber ihn durchaus duldenden Jugendlichen wurden unschuldig in eine, von ihnen als "leidige" Diskussion über Heimat verwickelt: ein Steckenpferd des Dichters und auch oftmaliger Anlass für Handgreiflichkeiten. Letztere blieben zwar diesmal aus, doch Seitlinger fand sich, wie er am Montag bekannt gab, Tags darauf in "unaushaltbaren Schmerzen" wieder. Der Schriftsteller beschrieb seinen Zustand so: "Sie müssen sich vorstellen: Es hat sich so angefühlt, als würde das Hirn nicht nur dauernd von innen an die Schädeldecke stoßen und in einer Flüssigkeit geringer Dichte schwimmen, welche das Anstoßen höchstwahrscheinlich macht, sondern auch innerlich auseinander- und wieder zusammengezogen werden." Kopfschmerzen also? Nicht nur, denn Seitlinger hatte auch Probleme mit dem Magen: "Speiberei, sag ich Ihnen!", so der Autor lapidar.
Seitlinger ist der festen Meinung, sein Zustand ließe sich auf eine Vergiftung zurückführen. Zwar macht er jene Jugendlichen, die er zu einer Diskussion nötigte, nicht direkt für den mutmaßlichen Delikt verantwortlich. Doch zumindest verdächtigt Seitlinger andere, im Lokal Anwesende, die ihm, wie er meinte, mit verächtlichen Blicken begegneten. Seitlingers Gesprächspartner sehen die Sache naturgemäß anders: "Ang'soffn hat er sich!", so einer der vier Männer, der sich als ein Gesprächsteilnehmer zu erkennen gab. Nur weil Seitlinger einen "bledn Schädl" gehabt habe, so ein anderer, müsse es ich nicht gleich um eine Vergiftung handeln: "Er hat ja sicher acht, neun Sturm getrunken. Wen wundert es da, dass er speibt?"
Ob nun Josef Seitlinger zu viel getrunken hat, oder ob er tatsächlich Opfer eines "hundsgemeinen Giftanschlags" wurde, bleibt noch offen. Die Neigung Seitlingers zur Übertreibung ist zwar bekannt, doch sollte vor allem nach den letzten, teilweise ungustiösen Vorfällen die Causa Seitlinger noch nicht als geschlossen gehandelt werden. Der Dichter dazu: "Ich werde dem nachgehen! Die brauchen nicht glauben, dass ich mich jetzt daheim am Klo einsperr' und nicht mehr raustrau in ihre schmierigen Hundslokale!"

Samstag, 15. August 2009

Teleologisches (Heinrich Heine)

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppelmäulig wär,
Fräß und löge er noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

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